Das Urteil betrifft die Berufungen der Bundesanwaltschaft (teilweise) vom 13. Januar 2021 und des Beschuldigten (teilweise) vom 19. Januar 2021 gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2020.11 vom 8. Oktober 2020.
Gegenstand des Verfahrens bilden gemäss Anklage ein Verstoss gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen (AQ/IS-Gesetz; SR 122), die Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260ter StGB), Gewaltdarstellungen (Art. 135 Abs. 1 StGB) sowie mehrfaches Fahren ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG).
Dem Beschuldigten wird zur Hauptsache vorgeworfen, spätestens ab Mitte 2016 ein von der Schweiz aus operierendes Mitglied der verbotenen terroristischen Organisation "Islamischer Staat" gewesen zu sein und als solches im Zeitraum von 2016 bis zu seiner Verhaftung Mai 2017 zahlreiche Aktivitäten zugunsten des IS entfaltet zu haben. Unter anderem soll er eine im Libanon lebende Frau zu einem Selbstmordattentat angestiftet, den IS wiederholt finanziell unterstützt, Anstrengungen zur Rekrutierung und Schleusung von mehreren Personen ins IS-Kampfgebiet unternommen sowie Weisungen eines IS-Führungsmitglieds zur Vorbereitung von terroristischen Anschlägen in der Schweiz entgegengenommen haben.
Die Berufungskammer teilt die Ansicht der Bundesanwaltschaft betreffend die Anwendbarkeit des AQ/IS-Gesetzes (und nicht Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB) im Hauptanklagepunkt. Dass diese Bestimmung nicht explizit im Katalog von Art. 269 Abs. 2 StPO (Anordnung von geheimen Überwachungsmassnahmen) aufgeführt ist, stellt nach Ansicht des Gerichts ein gesetzgeberisches Versehen im Sinne einer echten Lücke dar, die entsprechend zu füllen ist. Art. 2 des AQ/IS-Gesetzes ist lex specialis zu Art. 260ter Ziffer 1 StGB und im Hauptanwendungsbereich von letzterem enthalten. Damit spricht nichts gegen die Verwertung der vorliegend aufgrund der geheimen Überwachungsmassnahmen erlangten Beweismittel.
Der Beschuldigte wird im Ergebnis wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 AQ/IS-Gesetzes, Lagerns von Gewaltdarstellungen (Art. 135 Abs. 1 StGB) und mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) schuldig gesprochen, mit einer Freiheitsstrafe von 65 Monaten bestraft und für 15 Jahre des Landes verwiesen. Der Antrag der Bundesanwaltschaft auf Verwahrung des Beschuldigten wird abgewiesen. Hierfür fehlt es vorliegend an der notwendigen Anlasstat (insbesondere kein Nachweis der Anstiftung einer im Libanon lebenden Frau zur Ausführung eines Selbstmordattentates).
Mit Verfügung der Vorsitzenden CN.2021.10 vom 9. Juli 2021 wurde der Antrag der Verteidigung auf umgehende Entlassung des Beschuldigten aus der Sicherheitshaft abgewiesen. Aufgrund diverser Vorkommnisse innerhalb der Haftanstalt (durch den Beschuldigten telefonisch übermittelte mutmassliche Aufträge an Angehörige zur Tötung von externen Drittpersonen) bleibt zudem das Recht des Beschuldigten auf persönlichen/telefonischen Kontakt mit Personen ausserhalb der Haftanstalt aufgehoben bzw. auf Briefverkehr reduziert. Zudem wurde aufgrund mutmasslicher Verhaltensweisen des Beschuldigten gegenüber Mitgefangenen (Drohungen, Verbreitung von dschihadistischer Propaganda sowie Versuche der Erteilung von Aufträgen zur Tötung von externen Drittpersonen via Mitgefangene) angeordnet, dass er den Rest seiner Sicherheitshaft von anderen Häftlingen getrennt zu verbringen habe.
Das Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CA.2020.18 vom 9. Juli 2021 sowie die Verfügung der Vorsitzenden CN.2021.10 vom 9. Juli 2021 sind derzeit (noch) nicht rechtskräftig. Demgemäss gilt für den Beschuldigten nach wie vor die Unschuldsvermutung.
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