15.05.2024
Bundesanwaltschaft und Privatklägerschaft gegen Ousman SONKO (SK.2023.23) – Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts verurteilt den ehemaligen Innenminister Gambias wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit



Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts hat Ousman SONKO der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren verhängt. Als ehemaliger Innenminister Gambias ist Ousman SONKO bisher in seiner Hierarchiestufe der höchste Staatsfunktionär, der gestützt auf die universelle Gerichtsbarkeit vor Gericht gestellt und verurteilt wird.

Nach seiner Entlassung als Innenminister von Gambia im September 2016 flüchtete der heute 55-jährige Ousman SONKO und ersuchte die Schweiz am 10. November 2016 um Asyl. Aufgrund einer Strafanzeige einer Nichtregierungsorganisation wegen Verdachts der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Folterhandlungen) wurde er am 26. Januar 2017 in der Schweiz verhaftet.

Aufgrund des Weltrechtsprinzips erachtet sich die Strafkammer des Bundesstrafgerichts als zuständig, die vom gambischen Staatsangehörigen Ousman SONKO gegen die Zivilbevölkerung in Gambia begangenen Verbrechen in der Schweiz zu beurteilen. Nach Auffassung der Strafkammer sind die am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Strafbestimmungen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar, auch wenn ein Teil der angeklagten Taten bis in das Jahr 2000 zurückreicht, da die vorsätzlichen Tötungen (darunter zwei Morde), Folterungen und Freiheitsberaubungen in jenem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren.

Die Bundesanwaltschaft warf Ousman SONKO zusammengefasst vor, in den Jahren von 2000 bis 2016 in Gambia teilweise alleine bzw. mehrheitlich zusammen mit einem Täterkollektiv bestehend aus dem damaligen Präsidenten Yahya JAMMEH und Führungsmitgliedern von Sicherheitskräften und Gefängnisdiensten von Gambia diverse schwerwiegende Verbrechen begangen zu haben. Im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung von Gambia soll Ousman SONKO in seinen Funktionen anfänglich als Mitglied der Armee von Gambia, sodann als Generalinspektor der Polizei und zuletzt als Innenminister teilweise alleine bzw. mehrheitlich mit dem vorerwähnten Täterkollektiv Menschen vorsätzlich getötet, gefoltert, vergewaltigt und ihnen in schwerwiegender Weise die Freiheit unrechtmässig entzogen haben.

Für die Beweiswürdigung stützt sich die Strafkammer u.a. auf die Einvernahmen von Ousman SONKO sowie auf die zahlreichen Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Opfer, die teilweise in der Schweiz und teils rechtshilfeweise im Ausland einvernommen wurden. Weiter wurden insbesondere Unterlagen aus Gambia und der Schlussbericht der gambischen «Truth, Reconciliation and Reparations Commission» (TRRC) herangezogen.

Mit Urteil vom 15. Mai 2024 spricht die Strafkammer Ousman SONKO schuldig wegen mehrfacher vorsätzlicher Tötung, mehrfacher Folter und mehrfacher Freiheitsberaubung je als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ousman SONKO war ein enger Vertrauter des ehemaligen gambischen Präsidenten Yahya JAMMEH, der Gambia von 1994 bis 2016 repressiv führte. Unter Yahya JAMMEHs Herrschaft wurden insbesondere politische Oppositionelle, Journalisten und als Putschisten verdächtige Personen systematisch gefoltert, aussergerichtlich hingerichtet, willkürlich inhaftiert und zum Verschwinden gebracht. Die Strafkammer erachtet es als erstellt, dass Ousman SONKO im Januar 2000 in Banjul (Gambia) in Mittäterschaft vorsätzlich einen putschverdächtigten Soldaten getötet hat. Weiter hält sie es als erwiesen, dass er im Zusammenhang mit einem Putschversuch im März 2006 in Banjul mittäterschaftlich Militärangehörige, Politiker und Journalisten gefoltert und ihnen unrechtmässig die Freiheit entzogen sowie im Oktober 2011 in Banjul ein ehemaliges Parlamentsmitglied ermordet hat. Ebenfalls als erstellt ist nach Auffassung der Strafkammer, dass Ousman SONKO im Zusammenhang mit einer politischen Kundgebung im April 2016 in Banjul in Mittäterschaft mehrere Oppositionelle gefoltert hat, wobei einer der Organisatoren der Kundgebung bei Folterhandlungen getötet wurde. In der Folge wurden die Oppositionellen mittels menschenunwürdigen Haftbedingungen weiter gefoltert. Die Strafkammer kommt zum Schluss, dass Ousman SONKO diese Verbrechen, d.h. die Tötungen, Freiheitsberaubungen und Folterungen, im Rahmen eines systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen hat.

Ein Teil der Anklagepunkte, die auf Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit lauteten, wird eingestellt. Diesbezüglich kann die Strafkammer keinen Angriff auf die Zivilbevölkerung erstellen, womit die Schweiz keine Strafhoheit besitzt.

Einen besonders schweren Fall von Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt die Strafkammer nicht fest. Ebenso wenig geht sie von einem weniger schweren Fall aus. 

Die Strafkammer verurteilt Ousman SONKO zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe unter Anrechnung der bereits abgesessenen mehrjährigen Haftzeit. Das gesetzliche Strafmaximum liegt bei 20 Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafzumessung wird deutlich, dass die Kumulierung der Verurteilungen theoretisch zu einer Strafe führen würde, die ihrem Vielfachen entspricht.

Zusätzlich zur Freiheitsstrafe spricht die Strafkammer gegen Ousman SONKO für 12 Jahre eine Landesverweisung aus. Ousman SONKO verpflichtet sie, der Privatklägerschaft eine Genugtuung für deren erlittenen immateriellen Schaden zu entrichten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Für den Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Beilagen:
Dispositiv SK.2023.23 vom 15. Mai 2024
Medienmitteilung in Englisch
Dispositiv SK.2023.23 vom 15. Mai 2024 in Englisch


Kontakt:
Estelle de Luze, Kommunikationsbeauftragte, presse@bstger.ch, Tel. 058 480 68 68





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